Leben auf dem
Familienlandsitz – der Ausstieg aus dem Hamsterrad
Jörg Blochinger, Text für den Zeitpunkt im März 2018
Seit
bald fünf Jahren leben meine Frau, unsere beiden Söhne und ich auf unserem
Familienlandsitz in Ungarn. Unser Land liegt eingebettet in eine hügelige Gegend
im Westen Ungarns. Wenn es genug regnet ist es im Sommer sehr grün und fruchtbar
und im Winter ist es ziemlich kalt. Wir leben ausserhalb eines kleinen Dorfes,
etwa eine halbe Stunde entfernt von der nächst grösseren Stadt, wo es alles zu
kaufen gibt, woran wir uns in unserem früheren Leben in der Schweiz gewöhnt
haben. Unten im Dorf führen die Leute ein eher bescheidenes, verglichen mit
Schweizer Verhältnissen ärmliches Leben. Wir leben etwas oberhalb des Dorfes in
den Hügeln auf einem Stück Land, das für die einheimische Landwirtschaft nicht
mehr von Interesse war und seit Jahren brach lag. Schon vor ungefähr 10 Jahren
startete hier ein "Selbstversorger-Projekt", das es zwar in der ursprünglichen
Form nicht mehr gibt, nur die Leute sind noch da.
Für
mich war es ganz klar. Wenn ich Kinder in die Welt setze, dann will ich, dass
sie zuerst das Leben auf Mutter Erde und die Natur als erste Lebensgrundlage
kennenlernen. Vor der Welt mit den künstlich erschaffenen Abhängigkeiten, die
man sich dann mit Geld erkaufen muss, will ich sie soweit und solange wie
möglich bewahren. Als wir auf unserem Landsitz ankamen, war unser erster Sohn
ein Jahr alt. Er war von Anfang an dabei, wie wir mit einfachsten Mitteln in
kurzer Zeit aus den Dingen, die wir in der Umgebung fanden ein kleines Haus
gebaut haben. Aus herumliegenden Fichtenstämmchen, Ästen, aus Lehm und Heu
entstand ein Häuschen, das uns in den ersten zwei Jahren gut als Unterkunft
diente und so gemütlich war, dass wir drei dort schon im ersten Jahr, drei
Monate nach unserer Ankunft überwinterten. Einige Bretter, gebrauchte Fenster
und Türen, die ich einbaute, musste ich kaufen. Die Kosten für unser Häuschen
bis es fertig war, beliefen sich auf ca. 500€. Rund um unser Land herum haben
wir als lebendige Hecke viele Sträucher und Bäume gepflanzt, die wir aus den
umliegenden Wäldern vorsichtig ausgegraben haben. In kleinen Töpfchen haben wir
Apfelkerne von Äpfeln, die wir besonders mochten, eingepflanzt und zugeschaut
wie sie keimten und grösser wurden. Sie sind zwar jetzt immer noch klein aber
schon auf unserem Land ausgepflanzt und wir warten darauf bis sie gross genug
sind und uns mit Äpfeln versorgen. Wir sind schon gespannt darauf wie gross die
Äpfel werden und wie gut sie schmecken. Alles dauert seine Zeit, aber es kann
auch ganz schnell gehen.
Unser erster Sohn hat miterlebt, wie wir auf einem Stück Land, das mal Ackerland
war, aus der Wildnis ein kleines Paradies erschaffen haben. Der Familienlansitz
ist unser Lebensraum und dient uns, um uns mit unserer Lebensgrundlage dem
Planeten Erde gut zu verwurzeln. Mittlerweile haben wir noch eine etwas grössere
Lehmjurte gebaut. Gefühlvoll liegt sie eingebettet im Gelände und ist wieder
fast vollständig aus Materialien direkt vom eigenen Land gebaut. Wir haben
verschiedene Gärten angelegt, Beeren und Obstbäume gepflanzt. Wir freuen uns
sehr darüber, die vielen verschieden Vögel zu beobachten, die bei uns leben.
Dachse, Wildschweine und grosse Hirsche besuchen uns ab und zu. Meist sehen wir
aber erst später ihre Spuren, manchmal ein angeknabbertes Apfelbäumchen oder die
aufgewühlte Erde, wenn die Wildschweine in der Nacht nach Wurzeln suchten. Seit
kurzem haben wir auch einen eigenen Brunnen und wir sind nun daran einen grossen
Teich zu graben, den wir dann mit Lehm abdichten. In dem sandigen Lehm geht die
Arbeit mit der Schaufel von Hand ganz gut und man kommt auch vorwärts, wenn man
dran bleibt. Dabei fällt hervorragendes Baumaterial an und dem Jungen macht es
viel Freude beim schaufeln mitzuhelfen. Ausserdem hat er in der riesigen Grube
einen perfekten Spielplatz. Auch für mich ist der Familienladsitz ein riesiger
Spielplatz, für den ich die Verantwortung trage. Alles was ich hier aufbaue oder
von aussen her anschleppe, wiederspiegelt ziemlich genau mich selbst. Ich kann
niemandem die Schuld für irgendwelche Missstände zuschieben. Hier bin ich der
eigene Herr und hier ist ein ideales Feld, um zu lernen alles was man will
selbst zu erschaffen.
Für uns ist die grösste Herausforderung nicht etwa die einfache Lebensweise. Mit
Holz zu heizen, auf dem Feuer zu kochen oder das Wasser im Kanister vom in der
Nähe gelegenen Brunnen zu holen, ist genau die einfache Lebensweise, die wir uns
wünschen. Nein, die grösste Herausforderung war und ist es immer noch, innerhalb
der Familie, als Mann und Frau, mit den Kindern und den Nachbarn in Frieden zu
leben. Wie schwierig ist es allein schon mit sich Selbst und der geliebten Frau
immer in der Liebe und in der Freude zu bleiben. So schnell ist das Gefühl, des
sich Einig seins verloren. Wenn man es nicht zu verhindern weiss, stören
Verzweiflung, Traurigkeit und manchmal auch die blanke Wut nachhaltig den
Frieden und die Freude am Leben. Da hilft auch ein Leben auf einem
Familienlandsitz nur wenig. Einen Raum der Liebe zu wahren ist höchste
Lebenskunst und bedeutet die Verkörperung als Mensch gemeistert zu haben.
Ich
gehe keiner regelmässigen Arbeit nach. Ich bin nirgends angestellt und so bin
ich die meiste Zeit ununterbrochen mit meiner Familie und den Kindern zusammen.
Es bringt etwas Geld ein zwischendurch Gelegenheitsjobs zu erledigen, aber unser
Konto strebt ständig Richtung 0.00. Dies macht es nicht gerade einfach. Wir
halten unsere Fixkosten so tief wie möglich. Die ständige Geldknappheit, kann
einem schon aufs Gemüt drücken. Wir fühlen aber, das Universum unterstützt
unsere Lebensweise und immer wieder öffnen sich im rechten Moment neue
Möglichkeiten. Wir erfahren die Grosszügigkeit unserer Familien oder auch mal
Hilfe von völlig unerwarteter Seite.
Unsere Absicht ist es unabhängig, in Frieden und in Freiheit auf der Erde zu
leben. Unsere Kinder sollen so Aufwachsen wie es ihrer Natur entspricht. Aber
was ist des Menschen wahre Natur? Sind wir sterbliche Menschen auf einem
Arbeiterplaneten oder sind wir unsterbliche geistige Wesen, die sich in einem
Körper auf der Erde weiterentwickeln? Ab hier wird es schwierig und man wird
haufenweise mit Erwartungen, Wertvorstellung und Glaubensvorgaben konfrontiert.
Ich finde es ist jetzt an der Zeit aufzuräumen und mit einigen
gesellschaftlichen Tabus und religiösen Vorstellungen einmal wirklich reinen
Tisch zu machen. Es ist notwendig genau hinzuschauen was in der Welt geschieht
und langsam diese Dinge sein zu lassen, die für uns Menschen unvorteilhaft sind.
Frieden, Freiheit, und Unabhängigkeit ausserhalb von sich selbst zu suchen, ist
eine Illusion. Das wissen langsam alle, die sich ein bisschen mit Religion oder
esoterischem Wissen auseinandergesetzt haben. Frieden, Freiheit und
Unabhängigkeit ist ein Seins Zustand und hat mit Selbstbewusstsein zu tun.
Frieden resultiert daraus, dass ich die Wirklichkeit meines Lebens in mir
gefunden habe, zweifelsfrei und meine Welt so annehme wie sie ist. Dies
ermöglicht es mir ohne Angst zu leben. Jetzt bin ich frei.
Die Idee vom Leben auf
Familienlandsitzen stimmt überein mit einer althergebrachten Lebensweise aus
einer in Vergessenheit geratenen Zeit, als auf der Erde ein Leben in Frieden und
Freiheit noch möglich und normal war. Falls man durch die Angebote der modernen
Wohlstandsgesellschaft noch nicht von einer natürlichen Lebensweise entwöhnt
wurde, ist es gut möglich, dass ein circa 1 Hektar (10000m2) grosses
Stück Land, der eigene Familienlandsitz, eine Familie mit allem versorgt, was es
für die Grundversorgung zum Leben braucht und das, ohne sich dabei abzumühen.
Ich gebe es zu, davon sind wir im Moment noch ziemlich weit entfernt. Ein
Rückschritt ins "Neandertal" ist aber keinesfalls unser Ziel. Meines Wissens gab
es auch auf der Erde Kulturen, die jetzt in Vergessenheit geraten sind, die in
grossem Wohlstand friedlich in natürlicher Umgebung zusammenlebten und sogar
Technologien nutzten, die an Umweltverträglichkeit und Effizienz bei weitem das
übertreffen, was heute offiziell benutzt wird.
Das
Ziel ist es wieder heil zu werden, heil an Körper, Verstand und Seele und wieder
vollkommen in die eigene Kraft zu kommen. Der Weg dorthin führt über eine
einfache natürliche Lebensweise, in der es möglich ist ganz sich selbst zu sein.
Ein Leben frei vom Druck künstlicher Erwartungen und angstbesetzter Programme in
der freien Natur ist der direkteste Weg sich wieder mit der eigenen wahrhaftigen
Natur zu verbinden und die Liebe zum Leben zu in sich zu fühlen. Wie lange es
dauert, bis wir wieder ganz aus unserer vollen Kraft schöpfen, ob das schon in
der jetzigen oder erst in der nächsten Generation wieder möglich ist, weiss ich
nicht. Auf jeden Fall gibt unsere Absicht die Richtung vor. Dass die Liebe die
Grundlage eines freien unabhängigen Lebens ist, haben wir in der Theorie auch
schon gelernt. Aber hier in der freien Natur auf unserem Familienlandsitz ist es
tagtäglich die erfahrbare Wirklichkeit.
Aus dem "in der eigenen Kraft
sein" entsteht ein Leben in der Fülle. Sich selbst und seinen Nächsten, die
Natur zu lieben ist die Grundlage dafür. Bei der Entscheidung für ein Leben auf
einem Familienlandsitz und damit für ein Leben in der Unabhängigkeit von den
künstlichen Systemen der Welt, wird man zuerst einmal mit den Abhängigkeiten
konfrontiert, die einen noch festhalten. Das Hamsterrad dreht einfach weiter. Es
sind die alten Muster, Gewohnheiten und Glaubensmuster, die man nicht so einfach
wieder los wird. Man wird sie nur los indem man sich ihnen bewusst wird und sie
loslässt. Eine hinderliche angstbesetzte Vorstellung ist es auch, es müsse
schnell gehen. Jeder muss selbst den Weg gehen, in eigenen Tempo und Rhythmus.
Es gibt keine Normen und Regeln die mir bei der Umsetzung helfen. Es gibt keine
Glaubensgemeinschaft oder Sekte die mir helfen meine Zweifel zu überwinden. Die
einzige Sicherheit ist einzig das Leben und die Natur. Bei einem Leben
eingebettet in der Natur verlieren die Werte und Sicherheiten der
Wohlstandsgesellschaft langsam immer mehr ihren Nutzen.
In unserem unmittelbaren Umfeld
gibt es noch einige andere Leute, vor allem deutschsprachige, die hier in
natürlicher Umgebung leben. Darunter sind auch andere Familien mit Kindern.
Nicht alle würden ihr Land als "Familienlandsitz" bezeichnen und alle gehen auf
ihre eigene Weise an die Sache heran. Doch eines haben alle gemeinsam. Alle die
hier sind, wollen so selbstbestimmt und natürlich leben, wie sie es vermögen.
Versuche aus den so unterschiedlichen und freiheitsliebenden Charakteren, die
hier zusammentreffen eine Gemeinschaft zu bilden oder nur schon
gemeinschaftliche Werte zu erarbeiten, sind bisher kläglich gescheitert. Die
Besitzverhältnisse der einzelnen Parzellen sind bis heute noch nicht richtig
geklärt und es gab sogar gerichtliche Auseinandersetzungen. Auch wurde
gestritten um Wasserrechte, um die Nutzung der Wege, um die Gründung und
Auflösung eines Vereins zu Förderung der Familienlandsitz-Siedlung hier an
diesem Ort in Ungarn. Es menschelt halt auch hier und für ein friedliches und
unabhängiges Leben, daran muss hier jeder einzelne arbeiten. Es scheint auch so,
dass okkulte, magische Kräfte wirken und auf die blinden Flecken drücken. Immer
wieder werden Konflikte aufgeschaukelt, die es verhindern, dass sich ein Kreis
bildet, der sich friedlich und freudvoll einem gemeinsamen Ziel widmet. Wir sind
aufgefordert alles positiv für das eigene Wachstum zu nutzen.
Aus meiner Erfahrung ist es
unmöglich das System zu verändern. Die in der Welt herrschenden Systeme haben
nicht die Absicht die Menschen in die Freiheit und zur Entfaltung des
natürlichen Potentials zu führen. Ihr Fundament ist nicht die Liebe für den
Nächsten und die Freiheit. Verändert sich nicht ihre grundlegende Absicht, ist
es gut möglich, dass zum Beispiel "zur Freude aller" ein bedingungsloses
Grundeinkommen eingeführt wird, das man dann aber nach ein paar Jahren nur noch
mit dem eingebauten Chip beziehen kann, wegen der Verwaltung. Ich glaube, dass
den Menschen, die wieder in Freiheit und Frieden auf der Erde leben wollen, gar
nichts anders übrigbleibt, als sich aus ihren Abhängigkeiten von den künstlichen
Systemen zu lösen. Langsam, Schritt für Schritt, jeder in seinem eigenen Tempo,
können wir lernen auf der natürlichen Basis der Erde wieder Fuss zu fassen. Es
ist sehr interessant, abenteuerlich und auch möglich. Überall können wir uns
Freiräume in der möglichst unberührten Natur erschliessen und gemeinsam
beginnen, neue Lebengrundlagen zu erschaffen, die aus der Liebe kommen und ein
freies, friedliches und freudvolles Zusammenleben auf der Erde zum Ziel haben.
Hier in Ungarn ist die Selbstversorgung in eigenen Gärten ein Teil der Kultur,
geschichtlich verankert und in der Gesellschaft weitverbreitet. Ich denke das
ist einer der Hauptgründe, dass sich dieses Projekt hier bisher nahezu
unbehelligt von behördlichen Auflagen entwickeln konnte. Im Gegenteil, hier in
Ungarn ist die Zusammenarbeit mit den Behörden durchwegs positiv und aus meiner
Sicht auch eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Gelingen gemeinschaftlicher
Projekte, welcher Ausrichtung auch immer. Es ist überhaupt grundlegend wichtig
nicht gegen den Staat und die Gesetze zu arbeiten. Es geht nicht, und das haben
wir auch innerhalb der wachsenden Siedlung gesehen, andere von der eigenen
Meinung überzeugen zu wollen. Dieses Verhalten kreiert nur Konflikte und wirkt
rechthaberisch. Davon haben alle genug. Es gibt immer einen friedlichen Weg. Man
muss aber von der eigenen Sache überzeugt sein und nicht an sich zweifeln. Es
ist gut ruhig zu bleiben, wenn nicht alles sofort so gelingt, wie man es haben
will. Und es ist gut sich auch dann friedlich zu verhalten, wenn man nicht
verstanden, belächelt oder sogar angefeindet wird. Ich glaube Projekte dieser
Art können überall gelingen, sogar in der Schweiz. Klar, die teuren Landpreise,
die behördlichen Auflagen und Gesetze für die Landnutzung und das Bauen machen
es uns nicht gerade einfach. Aber überall gibt es Gesetze, vor allem auch in den
Verfassungen der Länder, die man gut für die Sache nutzen kann. In der Schweiz
wäre es vielleicht das Beste Fördergelder zu beantragen. Fördergelder um Land zu
kaufen für einen Auswilderungsversuch vom Menschen in seinem natürlichen
Lebensraum der freien Natur, um ihn vor dem Aussterben zu bewahren.
Jörg
Blochinger, März 2018
ramsounds.ch